Juli 2016

Geplante Neuregelung des Mutterschutzgesetzes

2016-07-19 00:00 von Sandra Deissmann

Falsche Aussage im geplanten Gesetzestext

Mit großem Interesse verfolgen wir als Berufsverband die Bestrebungen zur Neuregelung des Mutterschutzgesetzes.

Viele der neuen Aspekte, insbesondere die neu aufgenommenen Rechte für Schülerinnen und Studierende, begrüßen wir sehr.

In einem Punkt müssen wir jedoch auf eine aus medizinischer Sicht falsche Aussage im Gesetzestext hinweisen und, da wir als medizinisches Fachpersonal um die Umsetzung einer evidenzbasierten Medizin bemüht sind, um Korrektur bitten:

In der Begründung der Regelung, dass die bezahlten Stillpausen auf das erste Lebensjahr des Kindes beschränkt sein sollen, heißt es „“Spätestens wenn das Kind 12 Monate alt ist, ist das Stillen… des Kindes weder aus ernährungsphysiologischer Sicht noch immunologischer Sicht notwendig.“

Diese Aussage ist inhaltlich falsch. Die aktuelle Datenlage belegt eindeutig sowohl für das Kind als auch die Mutter einen gesundheitlichen Nutzen des Stillens über den ersten Geburtstag hinaus:

Da die Muttermilch insbesondere im zweiten Lebensjahr einen zunehmenden Gehalt an Immunstoffen und –zellen enthält, haben Kinder, die zu diesem Zeitpunkt weiterhin gestillt werden, signifikant weniger Infektionskrankheiten, weniger Arztbesuche und weniger Medikamentenbedarf, was nicht nur der Familie selbst nützt, sondern auch aus ökonomischer Sicht für den Arbeitgeber (weniger Ausfallzeiten der stillenden Arbeitnehmerin, insbesondere dann, wenn das Kind in der Kita vielen Infektionskrankheiten ausgesetzt ist) und die gesamte Gesellschaft (weniger Kosten im Gesundheitswesen) zu empfehlen sind. Auch viele andere kindliche Vorteile des Stillens wie langfristig gesenkte Risiken für Adipositas, Diabetes, Hypertonus, Leukämien sowie eine verbesserte Schulleistung zeigen direkte Dosis-Wirkungs-Beziehungen.

Auch für die Mutter existiert eine positive Korrelation zwischen der Dauer des Stillens und der Risikoreduktion schwerwiegender Erkrankungen wie Mamma- und Ovarialkarzinom, Diabetes, Hypertonus, Adipositas etc., so dass auch die stillende Frau und damit auch der Arbeitgeber und die gesamte Gesellschaft von einer Fortführung des Stillens über den ersten Geburtstag des Kindes hinaus profitiert.

Aus diesem Grund empfiehlt international die Weltgesundheitorganisation WHO das Stillen „bis zum Alter von zwei Jahren und darüber hinaus solange es Mutter und Kind beide wünschen.“

In Deutschland formuliert es sowohl die Nationale Stillkommission am Bundesinstitut für Risikobewertung als auch die Bundesinitiative Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie für die Zeit nach dem ersten Geburtstag „die Stilldauer insgesamt bestimmen Mutter und Kind“.

Daher ist es aus laktationsmedizinischer (und aus o.g. Gründen auch aus ökonomischer) Sicht wichtig, das Stillen berufstätiger Mütter auch über das erste Lebensjahr des Kindes hinaus zu fördern. Selbstverständlich benötigt ein älteres Kind nicht mehr so viele Mahlzeiten wie ein Neugeborenes und kann, insbesondere tagsüber, schon über mehrere Stunden gut auf Muttermilch verzichten. Insofern begrüßen wir durchaus die im Gesetzestext vorgeschlagene Beschränkung der bezahlten Stillpausen auf das erste Lebensjahr des Kindes als gelungenen Kompromiss zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen. Wichtig ist es jedoch, die Begründung hierfür zu korrigieren und explizit die weiteren Schutzmaßnahmen wie Befreiung von Arbeit mit gesundheitsgefährdenden Stoffen, Nacht- und Mehrarbeit für die gesamte Dauer der Stillzeit zu gewährleisten. Dabei muss verankert werden, dass die Dauer der Stillzeit von der Mutter selbst bestimmt wird und individuell stark variieren kann.

Für die Zukunft bitten wir darum, dass bei der Planung und Weiterentwicklung des deutschen Mutterschutzgesetzes bezüglich des Stillens auch die in Deutschland ansässigen Fachinstitutionen wie die Nationale Stillkommission am Bundesinstitut für Risikobewertung, Bundesinitiative Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie sowie unsere Vereinigung als Berufsverband Deutscher Laktationsberaterinnen IBCLC e.V. beratend mit einbezogen werden.

Wir möchten auf eine gemeinsame Stellungnahme folgender Unterzeichner zur Novellierung des Mutterschutzgesetzes hinweisen:

Uta Tanzer, Koordinatorin des AK Stillen bei Erwerbstätigkeit im Auftrag des Bundesvorstands der Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen e.V.

Monika Jahnke, 1. Vorsitzende des Berufsverband deutscher Laktationsberaterinnen IBCLC e.V.

Anja Lück, Landeskoordinatorin Thüringen im Auftrag des Vorstands von Mother Hood e.V.

Angelika Reck, Geschäftsführerin beim Deutschen Ausbildungsinstitut für Stillbegleitung gemeinnützige Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)

http://stillen-und-arbeiten.de/stellungnahme-zum-gesetzentwurf-zur-neuregelung-des-mutterschutzrechts/